Kapitel 18

»Ich könnte es schaffen«, drängte Mole. »Würde nur einen Moment dauern, ehrlich. Der Junge ist den ganzen Tag in den Ställen.« Monsieur Foucault erwiderte nichts und Mole wusste nicht, ob sein Auftraggeber die gute Gelegenheit zu schätzen wusste oder nicht.

»Ich sage Ihnen, Sir, der Bursche frisst mir aus der Hand. Ich habe ihm erzählt, ich wüsste von einem Pferd, das bis fünf zählen kann. Ich überrede ihn, mich vor dem Haus zu treffen, werfe ihn in eine Kutsche und dann hätten wir es geschafft!«

Monsieur Foucault zog die Augenbrauen in die Höhe. »Was hätten wir geschafft?«

»Nun, wir hätten den jungen Herrn des Hauses in unserer Gewalt«, prahlte Mole, auch wenn er das beunruhigende Gefühl hatte, als stünde er auf Treibsand.

»Wenn Sie damit andeuten wollen, dass der junge Henri Foakes' Sohn ist«, sagte Foucault gelangweilt, »er ist es nicht. Der Junge ist ein französisches Gossenkind, den Foakes Gott weiß wo aufgegabelt hat.«

»Aber sie mögen den jungen, oder nicht? Ich habe gehört, dass er nächste Woche einen Lehrer bekommt und er hat mir selber gesagt, dass er im Frühling auf eine dieser teuren Schulen geschickt wird. Wir müssen schnell handeln, aber er frisst mir aus der Hand«, wiederholte Mole. »Und wenn sie ihn genug mögen, ihm einen Lehrer einzustellen, dann werden sie auch ein schönes Lösegeld für ihn zahlen. Ich glaube, er ist ein Ausrutscher von Foakes, jawohl.«

»Aber wir brauchen kein Lösegeld«, sagte Foucault und auf seinen Zügen zeigte sich ein Anflug von Gereiztheit. »Haben Sie nichts Wichtiges herausbekommen, während Sie in den Ställen Hinz und Kunz unterhalten haben?«

»Sie haben Streit«, sagte Mole prompt. »Die Flitterwochen sind vorbei, heißt es. Er ist jede Nacht weg. Er bleibt bis in die Morgenstunden im Kontor und kehrt gar nicht in sein Schlafzimmer zurück, und sie fährt ständig mit so einem feinen Pinkel aus. Man erzählt sich in den Ställen, dass sie den zuerst heiraten wollte und dann irgend etwas passiert ist und sie ihm den Laufpass gegeben hat.«

»Interessant, aber nicht besonders nützlich«, murmelte Foucault. »Hat Francois schon Ihre bescheidenen Unterkünfte aufgesucht, mein lieber Mole?« Als dieser nickte, fuhr Foucault fort. »In diesem Fall möchte ich, dass Sie mich am Dienstag in zwei Wochen begleiten. Wir werden Patrick Foakes einen Besuch abstatten. Sie sind dann ein gewisser Bayrak Mustafa, und ich habe mir überlegt, dass Sie offiziell des Englischen nicht mächtig sind. Wäre das zu machen?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, entfernte Monsieur Foucault ein Staubkorn von seinen kniehohen Stiefeln und schlenderte aus dem Zimmer.

Patrick saß in der hinteren Reihe seiner Loge im Drury Lane Theater, streckte die Beine aus und betrachtete seine Frau, die im vorderen Teil der Loge saß. Lady Sophie York, die schöne Tochter des Marquis von Brandenburg, war bereits ein gesellschaftlicher Erfolg gewesen, aber Lady Sophie Foakes, die liebreizende Gattin des Ehrenwerten Patrick Foakes, würde ganz bestimmt zu einer der Ersten der feinen Gesellschaft aufsteigen. In diesem Moment war Sophie von Gentlemen nur so umringt. Heiratsfähige Mädchen waren ja schön und gut, aber junge Ehefrauen scharten stets einen Kreis von Bewunderern um sich, die befürchteten, zur Ehe gedrängt zu werden, wenn sie einem einzelnen Mädchen besondere Aufmerksamkeit schenkten. Außerdem waren verheiratete Frauen für geistreiche Bemerkungen zu haben, die für die Ohren von unschuldigen Mädchen als zu gewagt galten.

Patrick verzog die Lippen, als Sophie erneut zu lachen begann. Ihre Bewunderer bogen sich ihr entgegen wie Weidenbäume im Sturm. Sie versuchen wahrscheinlich, ihr in den Ausschnitt zu schauen, dachte er mürrisch. Sophie trug ein goldfarbenes Opernkleid mit einem ganz besonders tiefen Ausschnitt.

»Ist das Kleid nicht ein wenig zu elegant für das Theater?«, hatte Patrick gefragt, als sie in der Eingangshalle ihres Hauses erschien und ihre langen Handschuhe glatt strich.

Sophie hatte ihm von unten herauf einen aufreizenden Blick zugeworfen. »Manchmal kleide ich mich absichtlich zu elegant, damit die anderen sich in ihrer eigenen Kleidung unwohl fühlen.«

Patrick fiel darauf keine Antwort ein. Beim bloßen Anblick ihrer weißen Brüste, die in dem Kleid beinah vollständig zu sehen waren, spürte er ein heißes Verlangen in den Lenden. Hastig hüllte er Sophie in ihren Samtumhang und schob sie vor die Tür, damit sie den Beweis seiner Lust nicht bemerkte.

Was zum Teufel tat er eigentlich? Sie war schließlich seine Frau. Sophie verriet mit keiner Miene, dass sie ihm ihren Streit übel nahm. Aber Patrick hatte die letzten Wochen damit zugebracht, die Gassen Londons zu durchstreifen, statt sich in seinem Bett mit seiner Frau zu vergnügen, wie es eigentlich normal gewesen wäre.

Patrick holte tief Luft. Er saß hinter den zahlreichen Galanen, die Sophies Hofstaat bildeten, aber sogar von seinem Platz aus konnte er sehen, wie ihre weichen, üppigen Brüste durch das Kleid nach vorne gedrückt wurden. Er schlug die Beine übereinander. Bald musste doch dieses verdammte Theaterstück weitergehen. Wie hieß es noch gleich? Vom Chisten zum Türken. Der besagte Christ brauchte verflucht lange, um zum Türken bekehrt zu werden, und so hatte Patrick viel zu viel Zeit, um über Sophies Körper nachzudenken. Zumindest würden beim Ende der Pause endlich all die Tölpel ihre Loge verlassen, die seine Frau umringten. Natürlich zählte Braddon ebenfalls zu dieser Gruppe. Patrick entwickelte langsam ausgeprägte Hassgefühle gegenüber seinem alten Schulfreund.

Sophie war sich jeder unruhigen Bewegung ihres Mannes bewusst, obwohl sie es vermied, ihn anzusehen. In diesem Moment lachte sie und klopfte Lucien Boch mit ihrem Fächer auf das Handgelenk. Er war ihr erklärter Liebling, vor allem, weil er einen leichten, geistreichen Witz besaß, der nicht zu anzüglich wirkte.

Lucien hatte ihre Hand in die seine genommen und hob sie an die Lippen. »Ich bin zu einem Sklaven Ihrer Augen geworden, schöne Dame.«

»Dann rette Sie Gott, denn ich werde es nicht tun«, sagte Sophie schelmisch.

»Niemand außer Ihnen kann mich erretten Sie sind eine Göttin!«

»Dann befehle ich Ihnen, an Ihren Platz zurückzukehren.«

»Das kann ich nicht.« Lucien schlug sich theatralisch auf die Brust. »Ich bin ein Apostel Ihrer Schönheit, Lady Sophie. Ich fürchte um mein Leben, wenn ich mich zu weit von der Quelle meiner Glückseligkeit entferne.«

»Oh, was für einen Schwulst Sie reden!« Sophie kicherte. »Irgendwann gehen Sie noch zu weit!«

»Mit Ihnen, in meinem Bett?«, erwiderte Lucien und lachte ebenfalls.

Sophie schaute unwillkürlich zu Patrick hinüber, der angesichts dieser Unterhaltung die Stirn runzelte. Sie hatte sich noch nicht an den Grad der Vertrautheit gewöhnt, der bei Unterhaltungen mit verheirateten Frauen üblich war. Es brachte sie aus der Fassung, dass ihr etwas peinlich war. Bevor sie Patrick geheiratet hatte, war sie für ihre gewagte Ausdrucksweise berüchtigt gewesen. Aber da war sie auch nur ein Mädchen gewesen, das, wie sie nun erkannte, die meiste Zeit gar nicht gewusst hatte, wovon es sprach.

Und wenn sie ehrlich war, schenkte sie ihrem Flirt mit Lucien gar nicht ihre volle Aufmerksamkeit. jeder Teil ihres Körpers konzentrierte sich auf ihren Mann - obwohl Patrick die begehrlichen Blicke der anderen Männer nicht einmal zu bemerken schien.

Lucien ergriff sanft ihr Handgelenk. »Ich sprach nur im Scherz, Lady Sophie.« Sein Blick begegnete ihrem. »Ich schmeichele und flirte, weil es modern ist, aber ich möchte Ihre sensiblen Gefühle bestimmt nicht verletzen.«

Sophie lächelte. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie diese Freundlichkeit also jeder Dame erweisen würden?«

»Genau«, bestätigte Lucien. »Ich mag Sie zu sehr, um Ihnen ein anzügliches Angebot zu machen, Mylady. Und Ihr Erröten verrät mir, dass Ihnen dieses Spiel noch nicht vertraut ist.«

Sophie errötete noch heftiger.

Patrick blickte zufällig genau in diesem Augenblick zu ihnen herüber und verzog mürrisch das Gesicht. Da er Sophies Vorliebe dafür kannte, mit der französischen Sprache verführt zu werden, traute er Lucien nicht. Verdammt, knurrte er innerlich. Wenn ich nicht aufpasse, ende ich noch wie Sophies Mutter und dulde nur ältliche und gebrechliche Franzosen in meinem Haus.

Sophie flüsterte vertraulich mit Lucien. Bleib vernünftig, befahl Patrick sich. jeder weiß, dass Lucien seiner toten Frau treu ist. Er will Sophie nur mit einem Flirt amüsieren.

Gereizt erhob sich Patrick und schlenderte aus der Loge. Warum sollte er herumsitzen und zusehen, wie andere Männer seiner Frau den Hof machten? Ich bin besessen, dachte er und ging schnell den Flur des Theaters entlang ... besessen von unrealistischen und eifersüchtigen Gedanken. Wo war Sophie zum Beispiel am Tag zuvor gewesen? Braddon hatte sie um Punkt zwei Uhr abgeholt und sie erst um sieben Uhr zurückgebracht, so dass sie kaum genug Zeit hatte, sich für das Hauskonzert umzukleiden, das sie gemeinsam besuchen wollten. Und das Gleiche war am Freitag der vergangenen Woche geschehen.

Er marschierte die ungepflasterte Gasse entlang, die neben dem Drury Lane Theater entlangführte und sein Herz raste vor Zorn. Er war einfach nicht fähig, seine Frau zu fragen, was sie den ganzen Nachmittag mit ihrem alten Verehrer tat.

Sophie, das wusste Patrick genau, war wie ein Wassertropfen; klar, ehrlich und treu. Sein Liebesspiel zum Beispiel genoss sie ohne Scham oder Hemmungen. Sie flüsterte ihm keine unaufrichtigen Liebesbeteuerungen zu, die allein auf ihrem Verlangen basierten. Obwohl Patrick einräumen musste, dass er auf diesen Aspekt ihres ehrlichen Naturells gerne verzichten konnte.

Das Schlimmste war; dass Patrick sich so verrannt hatte, dass er sich nicht dazu überwinden konnte, das Schlafgemach seiner Frau zu betreten, sie in seine Arme zu nehmen ... während seine süß duftende Frau ihre Nächte allein verbrachte.

Hätte Sophie Wut oder Kummer gezeigt oder wenigstens angedeutet, dass sie seine Abwesenheit in ihrem Bett bemerkte, so wäre es leichter für ihn, das Thema anzuschneiden. Aber sie war stets freundlich und reizend.

»Es interessiert sie nicht im Geringsten, ob ich in ihrem Bett liege oder nicht«, murmelte Patrick leise. Er machte kehrt und ging zum Theater zurück. Es war schlimm genug, dass er nachts die Straßen Londons durchstreifte oder bis zum Morgengrauen in seinem Büro blieb; Sophie sollte nicht alleine im Theater sitzen, während ihr Mann herumspazierte und nach einer inneren Ruhe suchte, die er nirgends zu finden schien.

Als Patrick zwischen den schweren Samtvorhängen hindurchtrat, die die Logen abtrennten, traf er nur noch Sophie und Braddon an. Der Christ hatte sich offensichtlich endlich in einen Türken verwandelt, denn es fand ein hitziger Schwertkampf statt, bei dem der ehemalige Christ einen Krummsäbel benutzte.

Patrick musste zugeben, dass Braddon und Sophie ein schönes Paar abgaben. Sophies Locken hatten fast die gleiche Farbe wie Braddons Haare  Zwischen ihnen schien eine Kameradschaft wie zwischen alten Freunden zu bestehen, was Patrick ganz und gar nicht gefiel.

Patrick ging nach vorne und nahm direkt neben Sophie Platz. Braddon blickte auf, sah ihn und erhob sich. Einen Augenblick lang blieb er hinter Patricks Stuhl stehen und versetzte ihm einen freundschaftlichen Knuff auf die Schulter.

»Ich muss gehen, Patrick. Meine Mutter wartet auf mich.«

ja, da saß die Gräfin von Slaslow in der Loge direkt gegenüber und warf ihrem Sohn einen durchdringenden Blick zu.

»Sie ist wütend wie ein Bär, weil ich noch keine Frau gefunden habe«, sagte Braddon trübselig. Bevor Patrick daran denken konnte, wie groß seine Abneigung gegen Braddon war, schenkte er ihm ein mitfühlendes Grinsen.

Während die Handlung auf der Bühne ihren Verlauf nahm, drang noch ein rationaler Gedanke in Patricks Bewusstsein vor. Slaslow hatte noch nie sehr gut ein Geheimnis für sich behalten können. Schon allein Braddons ungezwungenes Benehmen bewies, dass seine Freundschaft mit Sophie keinerlei Ungebührlichkeiten beinhaltete. Aber das erklärte Patrick noch lange nicht, warum Sophie seine Abwesenheit in ihrem Bett mit solch einem friedlichen Verhalten quittierte.

Was zum Teufel machten Sophie und Braddon bei ihren langen Ausfahrten, wenn sie keine Affäre miteinander hatten? Patrick spürte einen Knoten im Magen. Kein Mann und keine Frau konnten so viel Zeit miteinander verbringen ohne ... Und Sophie wirkte so zufrieden.

Ein paar Tage später schaute Patrick von seinen Frachtpapieren auf und erblickte seinen Zwillingsbruder, der vor seinem Schreibtisch stand.

»Alex!«

Falls Alex ein wenig überrascht war, dass sein sonst so zurückhaltender Bruder beinah den Tisch umwarf, als er aufsprang und ihn umarmte, so sagte er nichts dergleichen.

»Ich wollte schon die ganze Zeit mit dir reden«, sagte Patrick lahm.

Alex zog eine Augenbraue in die Höhe und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. »Lass mich raten ... du hast deine Ehe nach Art der Foakes-Männer vermasselt, und nun möchtest du, dass ich dir helfe, es wieder gerade zu biegen.«

»Ganz und gar nicht«, sagte Patrick und begegnete dem Blick seines Bruders, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Unsinn«, erwiderte Alex. »Du glaubst doch nicht, dass ich Charlotte bei diesem Wetter den ganzen Weg nach London geschleppt habe, nur damit du mirjetzt ausweichst, oder?«

Patrick starrte ihn frustriert an. »Ich habe dich nicht hergebeten«, sagte er.

»Das musstest du auch gar nicht«, sagte Alex und in seiner Stimme schwang mittlerweile ein scharfer Unterton mit. Es war seltsam. Obwohl die Zwillinge den körperlichen Schmerz des anderen nicht spüren konnten, so wussten sie sofort, wenn der andere in seinen Gefühlen verletzt war. Als Alex' erste Ehe so schlimm endete, hatte Patrick zwei Monate unter einem nervösen Magen gelitten. »Raus mit der Sprache, Patrick.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille. »Na gut«, sagte Patrick schließlich, drehte Alex den Rücken zu, durchquerte den Raum und starrte aus dem Fenster. Schnee fiel in Regenpfützen, wie es im März häufig vorkam. »Ich habe nach echter Foakes-Manier meine Ehe vermasselt, aber ich glaube nicht, dass du daran etwas ändern kannst.«

Alex wartete einen Moment lang darauf, dass er fortfuhr.

»Wir teilen nicht länger das Bett miteinander«, sagte Patrick und drehte sich um. »Ich weiß nicht, wie ich die Situation ändern soll.«

»War das deine Entscheidung oder ihre?«

»Meine, verdammt noch mal! Aber das ist es ja. Ich habe gar keine Entscheidung getroffen. Ich weiß nicht, wie es geschehen ist. Wir haben uns wegen etwas Albernem gestritten und ich bin an diesem Abend nicht nach Hause gekommen -«

»Ein schrecklicher Fehler«, unterbrach ihn sein Bruder.

»Ich war in meinem Kontor, nicht in einem Hurenhaus.«

»Mein Ratschlag für alle Verheirateten lautet, niemals im Streit das Haus zu verlassen«, sagte Alex. »Frauen vergeben dir das nie. Charlotte würde mir jedes Glied einzeln abreißen.«

»Das ist es ja«, erwiderte Patrick. »Sophie schien es nicht einmal bemerkt zu haben. Also blieb ich auch die darauf folgende Nacht fort.« Er blickte zu Alex hinüber, der ihn überrascht und nachdenklich ansah. »Es ist absurd - aber ich wartete auf eine Reaktion, weil ich ihr Bett verlassen hatte. Aber sie ist so freundlich wie eine verdammte Herzogin bei einer Party und offen gesagt glaube ich nicht, dass es sie im Mindesten interessiert, ob ich je wieder ihre Schlafzimmer aufsuche.«

Alex runzelte die Stirn. »Hat es ihr Freude gemacht, mit dir das Bett zu teilen?«

Patrick blickte ihn ratlos an. »Das ist es ja. Ich glaubte, ja. Nein, ich weiß, dass es ihr gefällt. 0 Gott, von mir ganz zu schweigen. Aber nun ... es ist schon über zwei Wochen her. Sie begrüßt mich jedes Mal so freundlich, als würden wir jede Nacht miteinander verbringen. Sophie ist die Liebenswürdigkeit in Person, egal, was ich tue.«

»Dann musst du das Thema anschneiden«, sagte Alex.

Patrick warf ihm einen widerwilligen Blick zu. »Wie fragt man eine völlig zufriedene Frau, ob sie bemerkt hat, dass ihr Mann nicht mehr in ihr Bett gekommen ist? Sie macht nicht den Anschein, als würde ihr etwas fehlen!«

»Das weißt du nicht sicher«, argumentierte Alex. »Finde es heraus. Geh in ihr Zimmer. Du musst das Thema nicht unbedingt ansprechen. Geh einfach zu ihr.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. »Ich könnte es versuchen«, sagte Patrick langsam.

»Du hast nichts zu verlieren.«

Patrick zog eine Grimasse. »Da hast du wohl Recht.«

»Hast du ihr gesagt, dass du sie liebst?«

Daraufhin warf Patrick ihm einen gereizten Blick zu. »Natürlich nicht!«

»Nun, das tust du aber«, versicherte Alex ihm. »Ansonsten würde es dich nicht so fuchsen, dass Sophie hinsichtlich der ehelichen Freuden nicht so begeistert ist wie du.«

»Begeistert? Du verstehst nicht«, fuhr Patrick ihn an. »Sie ist glücklich und zufrieden, das Leben einer verdammten Nonne zu führen. Teufel, ich weiß nicht, warum sie nicht in ein Kloster eingetreten ist.«

»Das wirst du erst wissen, wenn du wieder ihr Schlafgemach betrittst«, sagte Alex. Dann grinste er. »Was mich angeht, so werde ich langsam anfangen, meine fünfhundert Kronen auszugeben. Und du solltest dich langsam an den Gedanken gewöhnen, jede Nacht in einem spitzenbesetzten Nachthemd zu schlafen.«

Patrick runzelte die Stirn »Was zum Teufel -«

»Es hat nicht einmal ein Jahr gedauert«, sagte Alex spöttisch. »Erinnerst du dich? Ich habe mit dir um fünfhundert Kronen gewettet, dass du innerhalb eines Jahres hoffnungslos in deine Frau verliebt bist. Deine Ehe ist erst ein paar Monate alt und da wären wir.«

Dann wurde er ernst. »Warum sagst du es Sophie nicht? Sag ihr, dass du sie liebst.«

Patrick hob den Blick vom Teppich und in seinen Augen war seine ganze Seele bloßgelegt. »Das Gefühl ist nicht gegenseitig, Alex. Sie gibt keinen Pfifferling, ob ich bei ihr bin oder nicht. Sie ist absolut glücklich damit, ihre meiste Zeit mit den zahlreichen Männern zu verbringen, die den ganzen Tag lang das Haus belagern. Braddon lebt praktisch bei uns.«

Das klang tatsächlich schlimm. Alex legte seinem Zwillingsbruder den Arm um die Schulter. »Wir werden in den nächsten Wochen nach London zurückkehren, aber du kannst uns jederzeit auf Downes besuchen.«

Patrick schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Danke.«

»Ich muss Charlotte abholen«, sagte Alex. »Sie möchte noch ein paar Einkäufe tätigen, bevor wir aufs Land zurückkehren. Sie besucht heute Abend ihre Eltern - wie wäre es mit einer Partie Billard?« Als Patrick nickte, ging Alex zur Tür und blieb noch einmal stehen.

»Ehen gehen nicht immer gut, Patrick.« Dies wusste Alex aus eigener Erfahrung, denn seine erste Ehe war ein schreckliches Desaster gewesen, dem er knapp entkommen war. »Man darf sich keine Vorwürfe machen.«

Als sich die Tür hinter seinem Bruder schloss, ließ Patrick sich in einen Sessel fallen und versuchte, seine verspannten Muskeln zu lockern. Alex hatte Recht und Unrecht zugleich. Die Vorstellung, mit Sophie Angelegenheiten des Schlafzimmers zu besprechen, war unvorstellbar. Aber er konnte einfach ihr Gemach betreten. ja, das konnte er tun. Heute Abend würde er mit Petersham dinieren und anschließend mit seinem Bruder Billard spielen - aber am nächsten Abend würde er ihr Zimmer betreten. Das, oder ich verliere langsam den Verstand, schoss es Patrick durch den Kopf. Egal, was seine kühle kleine Frau von der Angelegenheit hielt, aber ihr verrückter Ehemann brannte darauf, mit ihr ins Bett zu gehen - egal, in welches.

Ohne dass Patrick davon wusste, weinte seine kühle kleine Frau heiße, ungewollte und leidenschaftlich zornige Tränen.

Henri platzte in ihren Salon und blieb dann bestürzt stehen. »Lady Sophie! Was bedrückt Sie?« Henri sprach noch immer ein seltsames, gebrochenes Englisch, aber Sophie bestand darauf, dass sie das Französische mieden, damit Henri die Sprache fließend genug spräche, um in ein paar Wochen zur Schule gehen zu können.

Sophie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Es ist nichts, Henri. Ich werde nur langsam zu einer Heulsuse, das ist alles.«

»Eine Heulsuse?« Henri runzelte fragend die Stirn.

»Jemand, der häufig weint«, erklärte Sophie.

Henri zögerte. Sogar er wusste, dass das Thema delikat war. »Weinen Sie, weil Sie von Monsieur Foakes -weil Sie von ihm séparée sind?«

Sie hätte wissen müssen, dass inzwischen das ganze Haus darüber sprach, dass Patrick ihr Bett verlassen hatte. Natürlich wussten die Bediensteten, mit wem Patrick seine Nächte verbrachte - so etwas wussten sie immer.

»Sagt man unten, wer Patricks Freundin ist?«, fragte sie direkt.

»Was?« Henri war perplex.

»Mit wem ... Patrick seine Abende verbringt?«

Auf Henris Gesicht tauchte ein wissender, mitfühlender Ausdruck auf, den sie einem so jungen Burschen nicht zugetraut hätte. Er schüttelte verneinend den Kopf und versuchte erst gar nicht die Tatsache zu verheimlichen, dass die Bediensteten an die Existenz einer Geliebten ihres Gatten glaubten. Aber er verschwieg ihr, was die Bediensteten von Sophies häufigen Ausfahrten mit dem Grafen von Slaslow hielten.

Tränen brannten in Sophies Augen. Sie holte tief Luft. Diese Unterhaltung mit Henri war äußerst unangebracht. Einen Augenblick lang kämpfte sie dagegen an, die Fassung zu verlieren.

»Ich könnte es herausfinden«, sagte Henri eifrig. »Heute Nachmittag werde ich Monsieur Foakes folgen, wie ein -ein Bow Street Runner. Und ich werde sehen, mit wem er seine Zeit verbringt.«

»Auf gar keinen Fall, Henri«, erwiderte Sophie und blickte den Jungen liebevoll an. »Ich denke, wir sollten so tun, als hätte diese Unterhaltung niemals stattgefunden. Wollten wir uns nicht den Löwen an der Börse ansehen?«

Henri stimmte ihr zu, aber am frühen Abend schlich er sich so bedrückt in den Salon, dass Sophie sofort wusste, dass etwas nicht stimmte.

»Was ist geschehen, Chérie? Ist alles in Ordnung?«

Henri trat neben sie. Dann platzte es aus ihm heraus. »Ich bin ihm doch gefolgt, Lady Sophie. Auch wenn Sie mir befohlen haben, es nicht zu tun. Er hat ... ich dachte, ich hätte ihn auf der Bond Street verloren, aber dann kam er aus einem Gebäude heraus. Oh Lady Sophie, Monsieur Foakes hat tatsächlich eine Freundin.«

Sophie wurde übel in der Magengegend. »Henri«, sagte sie, »das war nicht richtig. Es war außerordentlich ungehörig von Ihnen, Patrick zu folgen.« Erstaunt merkte sie, wie gefasst ihre Stimme klang.

In Henris Augen spiegelte sich wider, wie verwirrt und verraten er sich fühlte. Er betete Sophie an, und Patricks Verhalten widersprach seinem Sinn für Loyalität.

»Es ist nicht richtig!«, sagte er zornig. »Das werde ich ihm auch sagen! Diese ... diese schwarzhaarige Frau ... pah! Im Vergleich zu Ihnen ist sie ein Schwein!«

Sophie hätte beinah gelächelt, aber ihr Herz schmerzte zu sehr. Patrick hatte sich also von einer schwarzhaarigen Frau bezirzen lassen. Wahrscheinlich war die Frau bereits vor ihrer Hochzeit seine Geliebte gewesen und er hatte die Beziehung niemals beendet.

»Henri, es war nicht richtig von Ihnen, ihm zu folgen, vor allem nicht, um ihm mit seiner ... seiner Freundin zu beobachten.« Ihre Augen musterten ihn streng.

Er spürte einen Anflug von Verlegenheit. »Aber ich habe ihnen nicht geglaubt«, platzte er heraus. »Als sie unten sagten, Monsieur Foakes sei bei einer Kurtisane, da habe ich ihnen nicht geglaubt!«

Sophie spürte einen Stich im Herzen. Henris spitzes Gesicht sah so unglücklich aus. »So ist das Leben nun einmal, Henri«, sagte sie sanft und legte einen Arm um den jungen. »In einer Ehe bedeutet das gar nichts ... so ist das nun einmal.«

Henri war ganz und gar nicht überzeugt, als sie sich ins Speisezimmer begaben. Sophie nahm sehr unglücklich an der Tafel Platz. Sie hatte von Anfang an keine Chance gehabt, Patricks Herz zu gewinnen. Eine schwarzhaarige Frau war ihr zuvorgekommen. Und Patrick teilte wahrscheinlich in diesem Moment ein intimes Mahl mit seiner Geliebten, denn er erschien nicht zum Essen.

In dieser Nacht lag Sophie bis drei Uhr morgens wach in ihrem Bett und hoffte, betete, dass Patrick in ihr Bett kommen möge. Aber schließlich hörte sie, wie er sein Zimmer betrat, den Diener wegschickte und in sein Bett fiel.

Patrick schlief so tief, dass er sich während der Nacht nicht ein einziges Mal herumwarf. Sophie wusste, wie gut er schlief, weil sie die Verbindungstür zwischen ihren Zimmern einen kleinen Spalt offen gelassen hatte. Er musste sich völlig erschöpft haben. Aber Sophie konnte angesichts Patricks Aktivitäten nicht einmal echten Zorn aufbringen.

Statt des Zorns spürte sie einen Anflug von Furcht. Obwohl sie sich an Bord der Lark geweigert hatte, ihre monatliche Regel mit Patrick zu besprechen, konnte sogar sie nicht darüber hinwegsehen, dass sie kein einziges Mal ihre Blutung gehabt hatte, seit Patrick über die Leiter in ihr Zimmer geklettert war. Offensichtlich komme ich in allem nach meiner Mutter, dachte Sophie bitter; mit der frühen Schwangerschaft und mit der gescheiterten Ehe.

Das Baby veränderte bereits ihren Körper. Ihre Brüste waren schwerer und empfindlicher, und ihr Bauch wies eine kleine, süße Schwellung auf, die sie heimlich liebkoste. Sie schlief morgens immer länger, aber außer ihrer Zofe hatte es noch niemand bemerkt.

Bald würde sie dick und unansehnlich sein, und dann würde Patrick, der sich bereits anderswo amüsierte, niemals mehr in ihr Bett zurückkehren. Also schluchzte Sophie hemmungslos in ihre Kissen, und das nicht nur, weil Patrick sich mit anderen Frauen herumtrieb, sondern weil sie so wollüstig war, dass sie sich nicht einmal über das Kind freute, das sie sich doch anfangs so gewünscht hatte. Es erschien ihr unfair, dass es so früh kam. Patrick hatte bereits das Interesse an ihrem Körper verloren, und er wollte nur ein Kind. Nun gab es für ihn keinen Grund mehr, jemals wieder in ihr Bett zurückzukehren.

Das bedeutete, dass sie die kommenden Jahre ihrer Ehe wie ihre Mutter verbringen würde. Sie würde ihren Mann beim Abendessen treffen, um sofort wieder getrennte Wege zu gehen. Bei Hauspartys würden die Gastgeberinnen sie automatisch in getrennten Schlafzimmern unterbringen und diese würden sich an unterschiedlichen Enden eines Flurs oder, noch schlimmer, in verschiedenen Stockwerken befinden.

Ein Teil des Problems war, dass sich, wann immer sie Patrick sah, eine prickelnde Wärme in ihrem Magen entzündete, die sich anschließend in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Es war eine Schwindel erregende, hungrige Hitze, für die sie sich umso mehr schämte, weil es ihm offensichtlich nicht so erging. In jener Nacht lag Sophie in ihrem Bett, während ihr das Blut heiß durch die Adern pulsierte. Sie konnte sich gerade noch beherrschen, nicht nach nebenan zu schleichen und sich auf Patricks schlafenden Körper zu werfen.

Aber der Stolz kam ihr zur Hilfe. Wollte sie zu einem Mann gehen, der sich bei einer anderen Frau ermüdete? Was, wenn er sie einfach abwies?

Was, wenn er nach dem Parfüm der anderen roch? Was, wenn er sagte ... Die Möglichkeiten waren endlos und gleichwohl schrecklich. Sophie blieb, wo sie war, und zwar in ihrem eigenen Bett.

02 - Heiße Nächte der Leidenschaft
titlepage.xhtml
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_000.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_001.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_002.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_003.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_004.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_005.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_006.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_007.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_008.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_009.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_010.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_011.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_012.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_013.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_014.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_015.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_016.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_017.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_018.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_019.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_020.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_021.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_022.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_023.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_024.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_025.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_026.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_027.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_028.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_029.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_030.htm
02 - Heisse Nachte der Leidenschaft_split_031.htm